Der Ruf nach dem eRezept

Innovative digitale Abrechnung im Hilfsmittelbereich schon lange Status Quo

Die Hilfsmittelbranche verlangt digitale Prozesse, das eRezept und vor allem: die digitale Abrechnung. Zuletzt forderte dies unüberhörbar auch der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) in seinen jüngsten Stellungnahmen. Ein neidischer Blick wird geworfen auf die Apotheken, denen der Genuss des eRezeptes verordnet wurde, sowie auf die Ärzte, die ausweislich Angehörige eines Heilberufes sind und eine gleichnamige Chipkarte mit Ausweisfunktion nutzen dürfen. Dies wolle man alles auch, so die einhellige Meinung des Verbandes und vieler organisierter Branchenvertreter.

In der aktuell tobenden Forderungsdiskussion mit dem Gesetzgeber (und der Aussicht auf ein Schiedsgerichtsverfahren) geht völlig unter, dass die Hilfsmittelbranche schon lange Vorreiter und Vorbild bei telematischen Prozessen im Gesundheitswesen ist. Seit 2008, als die Einführung des elektronischen Kostenvoranschlags und auch der elektronischen Genehmigung mit zunächst großem Widerstand der Leistungserbringer startete, hat die Branche mittlerweile eine nahezu vollständige digitale Abwicklung des Antrags- und Genehmigungsprozesses erreicht. Die Anbieter haben sich untereinander auf „Quasi-Standards“ geeinigt, begleitet von den Krankenkassen und Leistungserbringern. Krankenkassen-, leistungserbringer- und anbieterübergreifende Interoperabilität ist seit Jahren Standard – und das ganz ohne gesetzliche Regulierung oder Vorgaben.

Und nun die digitale Abrechnung.

Auch hier haben Anbieter zusammen mit Leistungserbringern und Krankenkassen bereits Lösungen erarbeitet. Angefangen mit einem großen Systempartner und Abrechnungsdienstleister, der – basierend auf technischen Standards des TP5 der Jahre 1996 und 1997 – mit seinem Produkt DTAplus die digitale Übertragung von Bildern (statt Papier) als Grundlage für eine Digitalisierungsstrategie gewählt hat (was gegenüber dem aktuellen Verfahren des Papierverschickens einen großen Fortschritt darstellt), bis hin zu einem weiteren Dienstleister der Branche, der auf Basis von automatisiertem Antrags- und Genehmigungsdatenaustausch sowie innovativen mobilen Technologien den vollständigen Prozess digital abwickelt. Auch hier agieren alle Beteiligten und die Dienstleister im Rahmen der aktuellen strengen Gesetzgebung und ohne gesetzgeberische Vorgaben.

Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob der Ruf nach einem eRezept für die Hilfsmittelbrache und der Einführung von Chipkarten gerechtfertigt ist und welche Vorteile damit verbunden sind, denn digitale Technik und Anwendung sind bereits eingeführt und werden erfolgreich betrieben. Für den im Hilfsmittelbereich im Gegensatz zum Arzneimittelrezept deutlich komplexeren Prozess nützt die Vorlage aus dem Arzneimittelbereich herzlich wenig (sieht man mal von Selbstverständlichkeiten ab). Hier helfen nur intelligente Vernetzungslösungen der Systemparteien Krankenkassen, Ärzte und Leistungsgerbringer, die heute bereits verfügbar sind und kurz davorstehen, einsetzbar zu werden.

Die Branche ist gut aufgestellt.

Die Frage stellt sich, warum nach dem Eingriff des Gesetzgebers verlangt wird, wenn die Branche selbst in intelligenter Eigeninitiative Lösungen bereits entwickelt hat und nicht diskriminierende Verfahren anbietet, an denen sich alle Akteure – Krankenkassen, Leistungserbringer, Softwarehersteller und Dienstleister – nach eigenen Möglichkeiten beteiligen können – unter Nutzung des sich herausgebildeten Mindeststandards. Schwer vorstellbar, dass die Rufe nach Gesetzen und High-Level-Vorgaben den Zweck haben können, digitale Prozesse und Verfahren schneller zu machen und die Einführung zu befeuern. Dazu ist die Branche selber bereits zu gut und zu erfolgreich aufgestellt. Über andere Gründe – Macht, Position, Visibilität, Kontrolle, Antitransparenz oder was auch immer – soll an dieser Stelle nicht weiter spekuliert werden.

Vielmehr ist festzustellen, dass – sollte es um Digitalisierung zum Zwecke der Qualitätsverbesserung in der Versorgung, um Entbürokratisierung und Teilhabe der Patienten am Versorgungsgeschehen gehen – es weiterhin die bewährte Innovationskraft von Krankenkassen, Leistungserbringern und Dienstleistern braucht. Und gesetzliches „Downsizing“ im Bereich Hilfsmittel und anderer sonstiger Leistungen ist kontraproduktiv und überflüssig wie ein Kropf. Da gibt es ganz andere Handlungsfelder, auf denen der Gesetzgeber aktiv sein muss.